Mannsein, Frausein – und darüber lachen (2024)

Die Regisseurin Nora Ephron inszenierte in Filmen wie "Harry und Sally" fröhliche Geschlechterkriege für ein Publikum, das sich von alten Rollen verabschiedete.

Von Thomas Winkler

Mannsein, Frausein – und darüber lachen (1)

Falls nur eine einzige Filmszene in Erinnerung bleiben wird von den durchaus nicht wenigen erinnerungswürdigen Filmszenen, die Nora Ephron geschrieben oder inszeniert hat, dann wird es wohl diese eine sein: Meg Ryan simuliert mitten im Restaurant einen sexuellen Höhepunkt, um Billy Crystal zu beweisen, dass Männer zwischen einem echten und einem vorgespielten weiblichen org*smus nicht unterscheiden können. Als Ryan fertig ist, gibt die ältere Frau am Nebentisch bei der Kellnerin eine Bestellung auf: "Ich will genau das, was sie hatte."

Jeder kennt diesen Lacher aus Harry und Sally . Eine Zeit lang wurden sogar Fake-org*smus-Wettbewerbe in Großraumdiscotheken veranstaltet. Es wäre aber schade, wenn nur das bleiben würde von jenem grandiosen Komödienhit aus dem Jahre 1989, der nur so sprüht vor messerscharfen Dialogen und wundervollem Wortwitz. Und noch bedauerlicher wäre es, sollte dieser doch mittlerweile eher laue Altherrenwitz, der vor allem der Darstellungskunst von Meg Ryan seine Wirkung verdankt, das einzige Vermächtnis bleiben von Nora Ephron, die damals das Drehbuch schrieb für den Film, den Rob Reiner inszenieren durfte.

Mit Harry und Sally hatte Ephron ein Erfolgsmuster geschaffen, das sie selbst und viele andere fortan fleißig kopierten: die romantische Liebeskomödie, in der zwei antagonistische Charaktere, die von vornherein füreinander bestimmt sind, erst nach Irrungen, Wirrungen und vielen geschliffen formulierten Streitgesprächen doch noch zueinander finden. Vier Jahre nach Harry und Sally schrieb Ephron Schlaflos in Seattle und führte diesmal selbst Regie. Indem sie Meg Ryan mit Tom Hanks kombinierte, gelang ihr ein noch größerer kommerzieller Erfolg, den sie schließlich 1998 mit e-m@il für Dich und denselben Hauptdarstellern noch einmal kopierte.

Kollision von Protagonist und Protagonistin

Niemandem sonst in dieser Zeit gelang es so souverän, den Geist der Screwball-Komödien aus der goldenen Ära Hollywoods wiederzubeleben. Fast so wie einst Frank Capra oder Howard Hawks mal Claudette Colbert, mal Katherine Hepburn mit Clark Gable oder Gary Grant streiten ließen, hetzte nun Ephron ihre Protagonistinnen und Protagonisten aufeinander: Immer eine flotte Replik auf den Lippen, mit der das Verhältnis zwischen den Geschlechtern seziert und manche Absurdität im Umgang hellsichtig entlarvt wurde.

War die Grundlage des cineastischen Geschlechterkriegs in den dreißiger und vierziger Jahren meist das sich wandelnde Frauenbild – eine starke Frau setzt sich gegen die ihr zugewiesene Rolle zur Wehr –, mussten sich bei Ephron vor allem die Männer ein neues Selbstverständnis erarbeiten. So wie der alleinerziehende Tom Hanks in Schlaflos in Seattle , den die Regisseurin mit reflektierten Pointen zum Sinnbild der neuen sozialen Bedingungen und sich verändernden Beziehungen machte.

Spitzer Humor

Rückblickend stehen die Komödien, die auch als ideelle Vorbilder für Fernsehserien wie Sex and the City gelten dürfen, im Zentrum von Ephrons Schaffen. Begonnen aber hatte sie mit ganz anderen Genres. Ephron, geboren am 19. Mai 1941 in New York , stammte aus klassischem Hollywood-Adel. Schon ihre Eltern, die 1945 mit ihr nach Los Angeles umzogen, waren Drehbuchautoren, ihre Mutter war 1964 sogar für den Oscar nominiert. Doch Nora schlug erst einen anderen Weg ein und absolvierte ein Praktikum im Weißen Haus, von dem sie später berichtete, sie sei vermutlich die einzige Frau im Präsidentensitz gewesen, die der damalige Präsident John F. Kennedy nicht versuchte zu verführen.

Später arbeitete sie als Journalistin für die New York Post , den Esquire , das New York Times Magazine oder die Huffington Post . In ihren Kolumnen verquickte sie geschickt gesellschaftlichen Kommentar, persönliche Erfahrung und einen spitzen, sehr New Yorker Humor. Später schrieb sie Romane und Essays, noch später bloggte sie .

Zum Film kam sie erst 1976 durch ihren zweiten Ehemann, den Journalisten Carl Bernstein . Er und sein Kollege Bob Woodward baten sie, das Drehbuch von Die Unbestechlichen , den Film über ihre Enthüllung der Watergate-Verschwörung, umzuschreiben. Sechs Jahre später verfasste sie zusammen mit einer Freundin das Script für Silkwood . Der Polit-Thriller mit Meryl Streep wurde Ephrons endgültiger Einstieg ins Filmgeschäft. Wiederum sechs Jahre später folgte das Drehbuch zu Sodbrennen , für das sie ihren eigenen Roman umschrieb, in dem sie die schmerzhafte Trennung von Bernstein verarbeitet hatte.

Drei Mal war Ephron für den Oscar für das beste Original-Drehbuch nominiert. Gewonnen hat sie ihn nie, verdient hätte sie ihn sicherlich. Ihren letzten Film schrieb und inszenierte sie 2009: handelt vordergründig von einer Bloggerin, die sämtliche Rezepte einer Fernsehköchin nachzukochen versucht. Aber wie nebenbei und doch voller Liebe erzählt sie auch hier wieder von ihrem großen Thema, dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Und wieder demonstrierte sie, wie man das moderne Leben ins Kino bringt: e-m@il für Dich war der erste Film, in dem die elektronische Post eine zentrale Rolle spielte. Julie & Julia ging als erste Verfilmung eines Blogs in die Geschichte ein.

Ephrons liebevoller Blick auf ihre Figuren ließ sie einige der witzigsten und zugleich wahrhaftigsten Komödien aller Zeiten schreiben. Mit Zeilen wie dieser aus Harry und Sally machte sie sich über die tragischen Momente des Lebens lustig: "Wenn ich ein neues Buch kaufe, lese ich die letzte Seite zuerst. Falls ich sterbe, bevor ich fertig bin, kenne ich wenigstens das Ende." Am Dienstagabend ist Nora Ephron in New York an Leukämie gestorben.

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